Mit einem Investitionsvolumen von rund 900 Milliarden Dollar ist die, von Staatschef Xi Jinping ausgerufene Initiative, die "Neue Seidenstraße", das größte Investitionsprogramm seit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem die Kommunistische Partei Chinas entlang der alten Handelsrouten zu Lande und zur See zum neuen Gravitationszentrum in Asien werden will.
„Dieses Projekt hat auf alle Anrainerstaaten – sowohl auf Russland, als einen wichtigen Nachbarn Chinas, als auch auf Deutschland, als wichtigen wirtschaftlichen Partner Russlands und Chinas – enorme politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Gemeinsam über die Chancen und Risiken dieses Projektes, mit seinen globalen Dimensionen zu diskutieren, schafft eine gemeinsame Grundlage für Kooperationsgewinne in Ost und West“, so Dr. Jens Hildebrandt, stellvertretender Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation.
Die „Neue Seidenstraße” (oder „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße“) ist die größte Initiative der Chinesischen Volksrepublik, welche im Jahr 2013 unter der Losung „One Belt - One Road“ ausgerufen wurde. Hinter ihr verbirgt sich eine Reihe infrastruktureller Projekte, sowohl auf Land- als auch auf Seewegen, die China enger mit Zentralasien, Russland, dem Nahen Osten und Europa verbinden soll. Zum Zielort des Korridors der „Neuen Seidenstraße“ wurde die deutsche Hafenstadt Duisburg erklärt. Die Realisierung des Konzeptes eröffnet neue Möglichkeiten zur Entwicklung der Transport-, Infrastruktur-, Investitions-, und humanitären Sphäre. Die neue Seidenstraße soll Regionen verbinden, Warenströme beschleunigen und umverteilen und sich auf die Zukunft der Menschen auswirken. Gleichzeitig kann sie aber auch die regionale Konkurrenz zuspitzen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Beziehungen zwischen China, den europäischen Ländern, Zentralasien und Russland in absehbarer Zukunft verändern und in vielen Punkten von der Realisierung dieses Projektes abhängen werden.
Aus diesem Grund hat die Filiale der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation seit 2017 einen neuen Arbeitsschwerpunkt zum Thema „Die neue Seidenstraße“ aufgebaut. Die neue Magistrale tangierte nicht nur die Länder, durch welche die neue Magistrale führen wird, sondern wirkt sich auch auf die Zukunft der Nachbarregionen aus. Dadurch bieten sich interessante Perspektiven zum Ausbau der russisch-deutschen Zusammenarbeit, sowohl auf nationaler, wie auch auf regionaler Ebene.
Auftakt des neuen Programms bildete eine Konferenz an der Sibirischen Föderalen Universität in Krasnojarsk vom 19.-20. April 2017 unter dem Titel „Die neue Seidenstraße – offene Möglichkeiten für Russland und Sibirien“. An der Diskussion nahmen unter anderem Adil Kaukenkov, Direktor des China-Zentrums aus Alma-Aty, Bachtijor Ergaschev, unabhängiger Experte aus Taschkent, Knut Detlefsen, Referent der Abteilung Ostasien der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, sowie der Ostexperten der Higher School of Economics aus Moskau Alexej Maslov, teil.
Die Teilnehmer der Diskussion kamen überein, dass das Thema „Neuen Seidenstraße“, in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung, noch kaum erfasst und diskutiert sei und die Folgen für den Außenhandel, die Sicherheitspolitik und die gesellschaftlichen Dynamiken, weder für Russland und Deutschland, noch für andere Länder, angemessen dokumentiert, analysiert und erforscht seien.
Dieses Defizit zeigt sich auch in der öffentlichen Berichterstattung, denn die „Neue Seidenstraße“ wird weder in Diskussionen um regionale Entwicklungsprogramme, noch in den Nachrichten der Massenmedien oder durch begleitende gesellschaftliche Initiativen von Gewerkschaften, Unternehmern oder NGOs berücksichtigt. Es fehlt deutlich an Expertise um Chancen und Risiken dieses gewaltigen Programms, bestehend aus zahlreichen Einzelprojekten, richtig einschätzen könnte. Somit entsteht für regionale Unternehmer und Politiker das Risiko, zahlreiche Entwicklungen falsch einzuschätzen oder nicht rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.
Hier zeigte sich der Know-How-Vorsprung in Kasachstan. Das Land hat bereits viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Partnern aus China. Für Adil Kaukenkov ist die „Neue Seidenstraße“ vor allem eine Chance, die Kasachisch-Chinesischen Beziehungen weiterzuentwickeln. Kasachstan ist am Ausbau der Transportinfrastruktur interessiert und investiert selbst, um nicht ausschließlich von ausländischen Investitionen abhängig zu sein. Dies unterscheidet Kasachstan von einer Reihe anderer Staaten entlang der Landroute der „Neuen Seidenstraße“, unter anderem auch von Russland. „Das Gebiet des großen Eurasiens muss zusammengerückt werden. Diese Idee vereint die Interessen vieler Länder und erklärt die Popularität des „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße“. Wer länger in China gelebt hat, weiß, dass die Infrastruktur sich dort extrem schnell entwickelt hat. Dadurch ist China zusammengerückt, was ein enormes Potential für die Weiterentwicklung und Vernetzung der Wirtschaft und der Regionen eröffnet. Natürlich ist die „Seidenstraßen-Initiative“ in erster Linie von den Interessen der chinesischen Regierung bestimmt. Aber gerade deshalb ist es wichtig zu verstehen, wo diese Interessen mit unseren übereinstimmen“ – meint Adil Kaukenov. Natürlich gibt es auch Probleme in der Zusammenarbeit mit der Chinesischen Volksrepublik. Nach Angaben des kasachischen Experten, erhebt die chinesische Seite hohe Zölle auf die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse und führt keine Maßnahmen zur Vereinfachung des Visa- und Zollregimes durch.
Der Warenumsatz zwischen China und den Zentralasiatischen Staaten ist seit den 1990iger Jahren, um mehr als 100% gewachsen. Diese Daten führt Bachtijor Ergaschev, unabhängiger Experte aus Usbekinstan, an.
Die aktive Anwerbung chinesischer Darlehen führt allerdings auch zu wachsender Auslandsverschuldung der Zentralasiatischen Staaten bei der Volksrepublik. Aus wirtschaftspolitischer Sicht, so der usbekische Experte, sind die Zentralasiatischen Staaten deshalb an einer Diversifizierung der Finanzströme interessiert und wollen neben chinesischen auch russische Investitionen gewinnen.
Der russische Ostexperte Alexej Maslov beschreibt den „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße“ als ein komplexes Projekt, welches Transport-, Wirtschafts- und Politikkomponenten beinhaltet. Um die Chancen der Umsetzung dessen, was sich China geplant hat, real einschätzen zu können, ist es notwendig das Projekt öfter und vor allem auf unterschiedlichen Ebenen zu diskutieren. „Wir versuchen unsere Hoffnungen mit den Plänen der Chinesen zu verbinden, allerdings stimmen diese beiden nicht immer überein“ – so Maslov. Seines Erachtens bedarf es einer empirischen Bewertung der Kooperationschancen insbesondere im Bereich des Außenhandels. Unabhängig davon ist Alexej Maslov aber überzeugt, dass das Potential zur Entwicklung und Diversifizierung der russisch-chinesischen Beziehungen vorhanden ist. Für ein erfolgreiches Vordringen russischer Produkte auf dem chinesischen Markt ist aber vor allem Expertise und Erfahrung auf regionaler Ebene gefragt. Dort sitzen die Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler und gesellschaftlichen Institutionen und Initiativen die sich tagtäglich mit Fragen der russisch-chinesischen Kooperation auseinandersetzen.
Trotzdem glauben viele russische Regionen immer noch, dass Chinas Megaprojekt sie weder im positiven noch im negativen berühren wird.
Der Referent der Ostasienabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Berlin, Knut Detlefsen, präsentierte in Krasnojarsk Ergebnisse einer internationale Studie „Wirtschaftsgürtel Seidenstraße: Fragen der Sicherheit und Perspektiven der Zusammenarbeit der EU und Chinas“, die vom Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut (SIPRI) in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde.
Die Europäer betrachten die chinesische Initiative aus der Perspektive der allgemeinen Sicherheit und stellen eine Reihe wichtiger Fragen, unter anderem, zum Befinden Russlands, in einer Situation, in der China eine immer aktivere Position im zentralasiatischen Raum einnimmt. Alleine wird kein Land Antworten auf die Fragen finden, die durch die von chinesischer Seite angestoßenen Initiative aufgeworfen werden.
Am Ende seines Auftrittes äußerte Knut Detlefsen die Hoffnung, dass die chinesische Initiative eine Chance für die EU und die Russische Föderation, sei ihre Beziehungen zu überdenken und trotz bestehender Konflikte neue Kooperationschancen zu erarbeiten.
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