Vom 16. bis 22. September fand in Irkutsk und Wladiwostok ein einzigartiges Seminar zum Thema „Die Neue Seidenstraße und die Zukunft der regionalen Kooperation“ mit 12 internationalen Experten aus Russland, Deutschland und Zentralasien statt. Die Veranstaltung wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geschichte, Archäologie und Ethnographie der fernöstlichen Völker, RAdW, Wladiwostok, organisiert.
Einzigartiges Format
Alexander Gabuev von Moskauer Carnegie Zentrum leitete die Veranstaltung mit einem Impulsvortrag zum Thema "Integration der Integrationen: Wie werden Russland, Europa und Zentralasien auf die chinesische Initiative "One Belt – One Road" antworten?" am 16. September in Irkutsk ein. Am nächsten Tag reisten die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer mit der Transsibirischen Eisenbahn vom Irkutsk nach Wladiwostok. Die drei Reisetage nutzte die Gruppe, um die von Gabuev aufgeworfenen Leitfragen des Seminars ausführlich zu besprechen. Am 20. September 2017 kam der Zug in Wladiwostok an. Die Diskussion wurde zusammengefasst, die Ergebnisse gewichtet und diskutiert und abschließend für die Präsentation gegliedert und aufbereitet. Am 21. September 2017 stellte das Expertenteam das Resultat seiner Arbeit und die daraus resultierenden Thesen im Institut für Geschichte, Archäologie und Ethnographie zur Debatte.
Einmalige Zusammensetzung
Das Seminar setzte sich aus einer interdisziplinären Gruppe aus Forschern, Journalisten und Praktikern zusammen. An der Veranstaltung nahmen Sinologen, Historiker und Politikwissenschaftler aus Kasachstan, Usbekistan, Deutschland und unterschiedlichen Regionen Russlands (Moskau, Wladiwostok, Irkutsk) teil.
Dreitägige Reise an Bord der Transsibirischen Eisenbahn führte nicht nur zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Kernfragen des Seminars, sondern öffnete den Wissenschaftlern auch den Raum, die eigenen Forschungsinteressen und -ergebnisse im Rahmen von "informellen Nachmittagsvorträgen" vorzustellen. Dieser einmalige Debattenraum erzeugte ein schnelles intellektuelles Zusammenwachsen der Gruppe.
An der Erarbeitung der Thesen wirkten folgende Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit:
Farkhod Aminjonov, stellv. Leiter in Zentralasiatischem Institut für strategische Forschung, Dozent, Narchoz (Kasachstan-Usbekistan)
Alexander Gabuev, Programmleiter, "Russland in Asien-Pazifik", Moskauer Carnegie-Zentrum (Moskau)
Ivan Sujenko, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentrum für asien-pazifischen Forschungen bei Institut für Geschichte, Archäologie und Ethnografie der fernöstlichen Völker, RAdW, (Wladiwostok)
Adil Kaukenov, Leiter, unabhängiges Zentrum für China-Forschung (Kasachstan, Almaty)
Leonod Koslov, Dozent an dem Lehrstuhl für internationale Beziehungen, Fernöstliche Föderale Universität (Wladiwostok)
Michail Korostikov, Verlagshaus "Kommersant", Journalist (Moskau)
Kaspar Meyer, Trainee, Europäisches Parlament, EP Visitors Program (Deutschland)
Ekaterina Michailova, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Weltwirtschaft, Fakultät für Geografie, Moskauer Lomonossov-Universität (Moskau)
Nele Noesselt, Prof., Dr., Dr., Inhaberin des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt China/Ostasien, Universität Duisburg-Essen (Deutschland)
Ilya Oleynikov, Dozent am Lehrstuhl für Politologie, Geschichte und Regionalkunde, Fakultät für Geschichte, Staatliche Universität zu Irkutsk (Irkutsk)
Vita Spivak, Programmkoordinatorin, "Russland in Asien-Pazifik", Moskauer Carnegie-Zentrum (Moskau)
Sören Urbansky, DAAD Postdoctoral Fellow an der University of Cambridge, Dozent am Lehrstuhl für Russland-/Asienstudien in Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland)
Aktuelle Themen
Im Mittelpunkt der Diskussionen standen drei Schwerpunktthemen:
- Der Diskurs über die "Neue Seidenstraße" (oder "One Belt – One Road") in Ländern des postsowjetischen Raums und in Eurasien
- Die Initiative der "Neuen Seidenstraße" und ihre Bedeutung für überregionale Integrationsprojekte
- Die "Neue Seidenstraße" und Entwicklung der Randgebiete
Ergebnisse
Der Diskurs über die "Neue Seidenstraße" in China werde im Kern vom Staat monopolisiert, sei nicht statisch und habe sowohl eine innen- als auch eine außenpolitische Dimension, so die ersten Ergebnisse der Expertengruppe. Die Reaktion auf die chinesische Initiative war keineswegs gleichförmig, vielmehr wandelte sich der Diskurs in den Nachbarstaaten wiederholt, dynamisch und evolutionär. In den Zeiten nach der Ankündigung der Initiative bestimmten Zurückhaltung und Neugier das Interesse. Sie schlugen aber nach den ersten Erfahrungen auf eine andere Stufe ab und führten in vielen Anrainerstaaten zur Enttäuschung. In vielen Ländern fehle es zudem an Verständnis, welche Inhalte und Perspektiven die "Neuen Seidenstraße" bietet. Das sei aber nicht nur für Russland, europäischen und zentralasiatischen Staaten charakteristisch, sondern auch für China selbst.
Nach intensiver Diskussion über Wesen und Charakter der chinesischen Initiative analysierten die Experten in welchem Verhältnis die "Neue Seidenstraße" zu überregionalen Strategien der eurasischen Integration" steht: die "Neue Seidenstraße" sei kein Integrationsprojekt, sondern vielmehr eine Ideologie, die sich sehr wandlungsfähig zeige, Veränderungen im Diskurs aufnehme und eine weite Interpretation des chinesischen Handelns zuließe, so die Experten. Während der Abschlusspräsentation in Wladiwostok fasste Prof. Viktor Larin, Leiter des Instituts für Geschichte, treffend zusammen. Nach seiner Aussage, sei die "Neue Seidenstraße" deswegen gut, weil jeder da das in ihr sehe könne, was man sehen möchte. Wenn das Reich der Mitte die "Neue Seidenstraße" fördert, setze es neue Schwerpunkte in der Außenpolitik. Effizient kooperiert China insbesondere mit den Anrainerstaaten auf bilateraler Basis. Dadurch unterstützt China eine infrastrukturelle Vernetzung der Region, finanziert mit chinesischen Mittel und umgesetzt zu chinesischen Konditionen. Diese Strategie kann zu einem Zusammenschluss der Region ohne Gründung von übernationalen Gremien führen. Wobei die "Perspektiven für die Entwicklung der Peripherie" insbesondere von der Handlungsfähigkeit der jeweiligen Zentralstaaten und ihrer Regionen diktiert werde. Es zeige sich vor allem, dass die handlungs- und ressourcenschwachen Staaten wesentlich nachgiebiger in den Verhandlungen mit China seien und China seine eigenen Interessen umso anspruchsvoller formuliere. Deshalb betrachten nicht alle Anrainerstaaten die chinesische Initiative als Chance für eine regionale Entwicklungsstrategie. Außerdem bringe die "Neue Seidenstraße" laut der Experten unvermeidlich eine technologische und finanzielle Abhängigkeit der Randgebiete und Nachbarregionen von China, was zunehmend Misstrauen erzeuge.
Abschließend fasste der stellv. Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation, Jens Hildebrandt, noch einmal zusammen, welche herausgehobene Bedeutung die "Neue Seidenstraßeninitiative" für Russland und Deutschland habe und wo die derzeitigen Defizite lägen: "Wir haben festgestellt, dass weder in Russland noch in Deutschland genügend präzise und praktische Informationen und Analysen zur chinesischen Initiative "Neue Seidenstraße" vorhanden sind. Wichtig war es für uns zu verstehen, worum es bei dieser Initiative überhaupt geht, welchen Stellenwert sie in der chinesischen Politik hat und wie diese Debatte im Ausland wahrgenommen wird. Alleine die Ankündigung der Initiative hat in allen Anrainerregionen für Aufregung gesorgt: Ängste wurden geschürt, Hoffnungen aufgebaut und Pro und Contras diskutiert. Diesen Fragen sind wir auf den Grund gegangen und haben sie mit denjenigen diskutiert, die Adressaten der Initiative sein sollen oder sein könnten".
Die wichtigsten Ergebnisse der Gruppenarbeit werden Anfang 2018 in einer Broschüre veröffentlicht.
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